Interview mit René Wilke - "Ich habe am Samstag den Anruf bekommen und am Sonntagmittag entschieden"
René Wilke war sieben Jahre Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder). Am Donnerstag tritt er seinen neuen Posten als Innenminister an. Im rbb24-Interview spricht er über die anstehenden Herausforderungen und sein Wirken als Oberbürgermeister.
rbb|24: Herr Wilke, wie läuft so eine Ministerstellen-Besetzung ab? Hat der Ministerpräsident Sie angerufen und gefragt, ob Sie den Job übernehmen wollen?
René Wilke: Ja, der Ministerpräsident hat mich persönlich gefragt.
Und dann hat er Ihnen Zeit zum Überlegen gegeben? Wieviel Zeit hatten Sie für Ihre Entscheidung?
Es waren mehrere Telefonate mit sehr vielen. Auch mit dem Ministerpräsidenten persönlich. Weil es vieles zu erwägen, besprechen gibt in so einer Frage. Auch mit anderen Menschen gab es Telefonate, auch mit Menschen aus der Landesregierung. Ich habe am Samstag den Anruf bekommen und am Sonntagmittag entschieden.
Was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung, das Amt des Innenministers zu übernehmen?
Letztlich kommen verschiedene Dinge zusammen. Die Aufgabe ist eine, die zu mir passt. Ich habe die Anbindung an die Kommunen und die kommunale Erfahrung. Ich habe die Verbindung zur Polizei, mit der ich hervorragend zusammengearbeitet habe. Ich habe die Katastrophenschutzerfahrung und kenne viele Menschen, mit denen ich in Krisensituationen zusammengearbeitet habe. Ich habe mit dem Thema Migration und Integration kommunal sehr viel zu tun. Ich glaube, dass ich für dieses Haus durchaus Einiges mitbringe.
Gab es, seitens des Landes, ein Abschiedsgeschenk für Frankfurt? Hat man Ihnen den Abschied versüßt mit Zusagen für Ihre Heimatstadt?
Nein, aber klar ist ja, dass ich Innenminister des ganzen Landes bin und auch eine Verantwortung für das ganze Land habe, aber auch Frankfurt (Oder) im Blick habe und Probleme hier kenne. Von daher gehe ich davon aus, dass alle Kommunen von meiner Handschrift auch mit profitieren werden, auch Frankfurt.
Sie gehen als Parteiloser in dieses Ministeramt. In Potsdam muss man gut vernetzt sein. Kann man das, wenn man parteilos ist?
Ich bin gut vernetzt. Ich kenne Kolleginnen und Kollegen aus so gut wie allen Fraktionen und das auch als Parteiloser. Ich bin lange in diesem Land tätig. Ich kenne alle Kollegen, die jetzt auf meiner Ebene sind. Ich kenne viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Ich kenne viele Landtagsabgeordnete. Mit manchen habe ich sogar noch zusammengearbeitet, als ich noch im Landtag war. Also insofern ist Vernetzung, glaube ich, kein Problem.
Schließen Sie aus, irgendwann SPD-Mitglied zu werden?
Nein. Aber das kann ich ganz ausdrücklich sagen, weil das in der SPD -Fraktion natürlich auch eine Rolle gespielt hat: Eine Parteizugehörigkeit ist überhaupt nicht Teil der Verabredung. Ich bin dem Ministerpräsidenten sehr dankbar dafür, weil da war er ganz klar. Er hat gesagt, dass er mich mit meinem Profil im Innenministerium sieht und er mich für den geeignetsten Menschen hält.
Die Koalition scheint sehr instabil, die Mehrheit im Parlament ist sehr klein. Warum machen Sie das trotzdem, obwohl sie eventuell weitere acht Jahre hier in Frankfurt einen guten Job und ein gutes Auskommen hätten haben können?
Weil es um Auskommen und guten Job nicht immer geht. Es gibt nicht so viele Situationen im Leben, wo man diese Frage gestellt bekommt, Minister zu werden. Und dann muss man sehr genau überlegen, was einem wichtig ist. Ich habe in Frankfurt (Oder) über sieben Jahre die Chance gehabt, zu gestalten. Es war mir jeden Tag eine große Ehre und ich werde die Kolleginnen und Kollegen hier unglaublich vermissen. Aber die Möglichkeit, jetzt dort in Potsdam nochmal zu gestalten und manche Dinge, die ich mir anders wünsche, anzupacken, ist etwas, was überwiegt in Abwägung mit einem sicheren Job.
Zentrales Thema in Ihrem neuen Job ist die Frage Migration. Was ist Ihr Plan: was werden Sie anders machen als Ihre Vorgängerin?
Mir ist wichtig als Grundakzent, dass wir momentan in einer Situation sind, so empfinde ich es, dass sehr viele Menschen, die hier geboren wurden, aber anders aussehen durch ihre Geschichte oder die Geschichte ihrer Familie und Menschen, momentan ganz stark verunsichert sind. Dass sie sich fragen, sind wir hier noch gewollt? In Frankfurt erlebe ich, wie ganz viele von diesen Menschen diese Stadt mittragen und unverzichtbar sind für ganz viele Arbeitsbereiche. Von dieser Verwaltung angefangen, über viele andere Bereiche auch. Ich möchte all diesen Menschen klar sagen: ihr seid hier gewollt und Teil dieser Gesellschaft und wir stehen an eurer Seite.
Genauso klar will ich aber auch gegen jene sein, die unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen, die eine Gefahr für andere Menschen sind, die versuchen das System, in dem sie leben, auszunutzen und damit dafür sorgen, dass eine Destabilisierung entsteht.
Was können Sie tun als Innenminister, um die Einschränkungen zu mildern, die durch die Grenzkontrollen entstanden sind, hier in Frankfurt, in Guben oder Forst?
Eine operative, direkte Zuständigkeit gibt es nicht. Aber Verantwortung endet nicht bei Zuständigkeit. Das habe ich auch den Kolleginnen und Kollegen unserer Verwaltung immer wieder gesagt. Und das heißt, dass ich mich gegenüber dem Bund, auch als Minister, einsetzen werde dafür, dass die Situation auf der Autobahn so nicht fortbestehen kann. Da gibt es positive Zeichen. Und es gab ja unzählige Gespräche, Briefe, Termine auch vor Ort, auch bis hin zum Bundesstaatssekretär des Innenministeriums. Und diese Zusagen müssen zügig umgesetzt werden. Die einspurige Autobahn im Bereich der Grenzkontrollen, die ja wesentlich auch Mitverursacher ist für den Rückstau und den Verkehrskollaps, die muss aufgehoben und beendet werden. Und das ist etwas, was ich auch als Minister adressieren werde und mich dafür stark machen werde.
Ihnen wird auch der Verfassungsschutz unterstehen. Soll dieser wieder allein darüber entscheiden können, wer etwa als rechtsextrem in diesem Land eingestuft wird? Ihre Vorgängerin Katrin Lange hatte die Selbständigkeit eingeschränkt, solche wichtigen politischen Entscheidungen zu treffen.
Also ich habe mir mittlerweile angefangen, eine Position zu dem Thema zur erarbeiten. Ich bin aber heute (Dienstag) noch nicht Minister und würde mich daher zu dem Thema frühestens äußern, wenn ich im Amt bin.
Zurück nach Frankfurt. Jetzt wird ein Nachfolger für das Amt des Oberbürgermeisters gesucht. Muss das Jemand werden, der über Parteigrenzen hinweg wirkt und anerkannt ist?
Ja. Wir haben es in den letzten Jahren geschafft, Frankfurt (Oder) als Stadt zusammenzuführen. Die Stadt galt als hochzerstritten, die Verwaltungsspitze ist in Wahlen gegeneinander angetreten, in der Stadtverordnetenversammlung gab es eine große Unversöhnlichkeit. Nun ist es nicht so, dass jetzt alle einer Meinung sind, aber wir führen Diskussionen in einer konstruktiven Art und Weise, und die Verwaltungsspitze geht mit einer geschlossenen Haltung in den politischen Raum und nicht mit Vielstimmigkeit. Und dieser Kurs ist für eine Stadt so wichtig.
Ich werde jetzt keinen Namen nennen, aber was ich sagen kann, ist, dass ich die Entscheidung nicht getroffen hätte, wenn ich nicht auch an einem Plan B für Frankfurt gearbeitet hätte. Ich habe den festen Eindruck, dass es jemanden gibt, wo ich glaube, dass die Stadt in guten Händen wäre und der ich das auch anvertrauen würde. Und ja, von daher hoffe ich, dass der politische Raum sich jetzt sortiert und es dann gute Bewerbung gibt.
Die letzte Oberbürgermeisterin war bis 1965 Luci Hein. Ist Frankfurt reif für eine Frau in diesem Amt und was Désirée Schrade, die ja bereits erklärt hat, Verantwortung übernehmen zu wollen?
Ich glaube, die Stadt wäre auf jeden Fall reif für eine Frau, wobei das Geschlecht nicht Bedingung ist, sondern viele andere Faktoren eher eine Rolle spielen. Ich kann zu Frau Schrade sagen, dass ich, seit sie zur Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde, mit ihr ja sehr eng zusammengearbeitet habe. In dieser Funktion hat man wöchentlich oft mehrfach Kontakt zueinander. Ich habe sie als Person erlebt, die klug ist, die sich auch schon eine große Lebenserfahrung erworben hat, schon durch ihre anwaltliche Tätigkeit, die analytische Fähigkeiten hat, die man braucht in diesem Amt, die in der Lage ist, die richtigen Fragen zu stellen und die über eine tolle Auffassungsgabe verfügt und die auch Menschen gewinnen kann. Ich habe mich gefreut, dass Frau Schrade schon mal signalisiert hat, dass sie sich eine Kandidatur vorstellen kann, und ich kann mir sie auch gut vorstellen.
Wenn Sie zurückschauen, was ist das Bleibende, was werden Sie den Frankfurtern hinterlassen?
Also, wenn ich auf Mitarbeiterversammlungen gesprochen habe, auch in der Stadtverordnetenversammlung, habe ich immer gesagt, dass nichts von dem, was ich mache, was ein OB macht, allein passiert. Das ist immer ein Gemeinschaftswerk.
Zu den Dingen, über die ich mich freue und auf die ich gerne zurückblicke, gehört, dass wir, bevor jetzt diese bundesweit schwierige Haushaltslage entstanden ist, eigentlich auf dem Kurs waren, möglicherweise in kurzer Zeit schuldenfrei zu sein. Mit 120 Millionen Minus, mit dem wir angefangen haben, war das und ist das eine riesiger Brocken Arbeit.
Ich freue mich über das alte Kino, das eine Perspektive bekommen hat, auch über die Fertigstellung dieses Rathauses, was für viele jetzt doch auch Bürgerstolz weiterweckt. Ich denke zurück an die Kampagne zum Zukunftszentrum, die sehr viel auch zur Identität der Stadt beigetragen hat und zur Ausstrahlungskraft. Da ist eine Menge entstanden, was ich noch heute spüre.
Wir haben das Stadtbild verändert. Es gibt so viele Bauten, die neu entstanden sind, Häuser, die saniert und weiterentwickelt wurden. Ich könnte noch eine ganze Weile weitermachen, auch mit bürgerschaftlichem Engagement und neuen Kulturformaten, wie die Sommerkonzerte, die wir jetzt in den Parks machen. Das ganze Stadtmarketing wurde neu. Wenn ich anfange, darüber nachzudenken, ist es wirklich sehr, sehr viel. Und vieles, auf das ich auch in großer Dankbarkeit und auch mit ein bisschen Stolz zurückblicke.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Michael Lietz, Antenne Brandenburg
Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung des Gesprächs.
Sendung: Antenne Brandenburg, 21.05.2025, 07:30 Uhr