Kommentar | Wilke wird Innenminister - Armutszeugnis oder Coup?

Mo. 19.05.25 | 17:20 Uhr | Von Thomas Bittner
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Dietmar Woidke (r, SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, stellt in der Brandenburger Staatskanzlei René Wilke (parteilos) als neuen Innenminister von Brandenburg vor. (Quelle: dpa/Jutrczenka)
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Audio: rbb24 Inforadio | 19.05.2025 | Nachrichten | Bild: dpa/Jutrczenka

Frankfurts Oberbürgermeister soll Brandenburgs neuer Innenminister werden. Nach der Ankündigung durch Ministerpräsident Woidke stellt sich die Frage, ob die Entscheidung eine Notlösung oder eine strategische Meisterleistung war. Ein Kommentar von Thomas Bittner

Auf den ersten Blick ist Dietmar Woidke mit der Personalie René Wilke ein Coup gelungen. Ein von allen Seiten gelobter Politiker wechselt von der Frankfurter Oder an die Potsdamer Havel. Zustimmung und Lob kommen nicht nur aus den Reihen von SPD und BSW. Selbst CDU, Linke und Grüne fallen in den Beifall ein. Von Geradlinigkeit und Kompetenz, von Pragmatismus und Verantwortungsbewusstsein ist die Rede. In der kommunalen Familie – unter Bürgermeistern und Landräten – ist er als Mann mit überparteilicher Handschrift beliebt.

Das Innenministerium, in Brandenburg auch für die Kommunen, für Kreise, Städte und Gemeinden zuständig, wird bald von einem Politiker geführt, der sieben Jahre lang die Geschicke einer geschrumpften Großstadt lenkte. Sein Vor-Vor-Vorgänger, SPD-Innenminister Schröter, wollte Frankfurt (Oder) vor einigen Jahren mit einer Kommunalreform zur Stadt ohne Kreisfreiheit degradieren. Wilke hielt dagegen. Und sicherte sich den Respekt vieler Oderstädter.

Auch beim Thema Migration redete er nicht um die Probleme herum, die er als Oberhaupt einer Grenzstadt hautnah zu spüren bekam. Er kennt die Wirkungen illegaler Einreisen, aber auch die Folgen verstärkter Grenzkontrollen für das Alltagsleben. Trotz aller Kritik: Er blieb dabei sachlich, bewies klare Haltung gegen Rechtsextremisten.

Ex-Linker mit gutem Draht zu CDU-Landräten

Wilke hat auch eine Vergangenheit als linker Landtagsabgeordneter, er weiß um das Zusammenspiel zwischen Regierenden und Abgeordneten, er beherrscht die Kommunikation mit den verschiedenen Ebenen. Er hat einen Draht zu CDU-Landräten wie zur linken außerparlamentarischen Opposition, zu den Grünen seiner Heimatstadt genau wie zum Bündnis Sahra Wagenknecht, obwohl er unter anderem wegen der Namensgeberin aus der Linkspartei ausgetreten war. Er galt als überparteilicher und aussichtsreicher Oberbürgermeisterkandidat für 2026, der in Frankfurt dem Aufstieg der AfD etwas Substantielles hätte entgegensetzen können.

Ein solcher Politiker könnte genau der Richtige sein, den nicht nur die Oderstadt, sondern das ganze Land jetzt braucht. Den Dietmar Woidke jetzt braucht.

Kein Sozialdemokrat für ein Schlüsselressort der Landespolitik

Auf den zweiten Blick ist die Entscheidung für Wilke aber auch ein Armutszeugnis für Dietmar Woidke. Die SPD, regierungserfahren wie keine zweite Partei im Land, schafft es nicht, einen Sozialdemokraten aus den eigenen Reihen für ein Schlüsselressort der Landespolitik aufzubieten. Nicht aus der Runde ihrer Landräte, nicht aus dem Kreis der Landtagsabgeordneten.

Weil sich inzwischen Teile der Partei bei wichtigen Themen wie Migration oder Umgang mit der AfD so gegenüberstehen, dass sich der Landesvorsitzende und Ministerpräsident auf eine Seite schlagen müsste und die Stabilität im Landesverband gefährdet wäre? Weil sich SPD-Lager misstrauisch belauern und auf Fehler der anderen Seite warten? Deshalb muss nun ein Politiker von außen die sozialdemokratischen Grundlinien der Innenpolitik und Kommunalverwaltung in der Koalition durchsetzen.

Vielleicht wird Wilke bald selbst ein SPD-Parteibuch in der Hand halten. Bei geschickter Amtsführung könnte er dann an allen Interessengruppen der märkischen SPD vorbeiziehen. Auf den ersten Blick wäre das ein faszinierender Aufstieg eines politischen Talents, auf den zweiten Blick ein Beleg für die fehlende strategische Aufstellung der Brandenburg-Partei SPD.

Sendung: Inforadio, 19.05.2025, 18.30 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

13 Kommentare

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  1. 13.

    Klakeure? Sie sind schon früher mit rechtsextremen Inhalt und der falschen Schreibweise für "Claqueure" aufgefallen.

  2. 12.

    Das war es jetzt mit der SPD und ein weiterer Meilenstein zu 50%+ AfD. Früher dachte man, die Parteien hätten Strategen - nein, sie haben Klakeure für den jeweilig Mächtigsten (gilt für CDU, Grüne, FDP auch). Wie kann man sonst sehenden Auges einen OB der AfD in Frankfurt ermöglichen?

  3. 11.

    Dieser "Kommentar" beweist nur, dass Rechtsextreme weiter alles unternehmen unsere Demokratie nachhaltig zu beschädigen. Das Motto ist bekannt.

    "Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD".

  4. 10.

    Diese Entscheidung zeigt, dass die SPD in Brandenburg nicht nur personell, sondern auch inhaltlich ausgelaugt ist.
    Aber leider zieht es bei den anderen etablierten Parteien noch schlechter aus. Das alles spricht nicht für eine gute Perspektive für das Land Brandenburg

  5. 9.

    Wenn die Stadt FF/O an die AFD fällt, liegt das nicht an Hr. Woidke sondern an den Wählern!

  6. 8.

    Das Lob von Herrn Bittner hat eine große Ungenauigkeit im Text.
    Die Kreisgebietsreform wurde im November 2017 von Dietmar Woidke beerdigt, der damalige
    Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt (Oder) war Dr. Martin Wilke, der sich wacker gegen die Pläne
    der Landesregierung stellte, wie auch der OB Holger Kelch (Cottbus).
    Herr Rene Wilke war zu diesem Zeitpunkt Landtagsabgeordneter der Linken, die Teil der Regierung waren und somit
    die Kreisgebietsreform mitgetragen haben.

  7. 7.

    Respekt für diese Lösung.
    Ja, die SPD ist offenbar in einem Zustand, in dem kein geeigneter Kandidat gefunden wurde..
    Da ist es genial, einen anerkannten respektierten Brückenbauer an diese sensible Stelle zu setzen.
    Damit wird das Pulverfass SPD beruhigt, werden Emotionen runtergekocht.
    Ich sehe das als Coup Woidkes und dies ist Taktik und Strategie zugleich.

    Da Herr Bittner sich keine Meinung zutraut, hier meine:
    In Zeiten, wo man sich in Brandenburg einer weiter erstarkenden AfD erwehren muss, ein starkes Signal für den Zusammenhalt demokratischer Kräfte. Also eine strategische Meisterleistung.

  8. 6.

    Sicher ein vorläufiger Gewinn für die Landespolitik. Aber Wilke war auch der aussichtsreiche Kandidat für die OB-Wahl 2026. Jetzt könnte die AfD die vorgezogene OB-Wahl gewinnen. Man kann es auch so sehen: Woidtke überlässt Frankfurt der AfD, damit er in Potsdam seine Macht stärkt. Das ist ziemlicher machtpolitischer Egoismus auf Kosten der Order-Stadt. Das kann richtig nach hinten losgehen. Wenn Frankfurt an die AfD fällt, ist das auch ein Signal für andere.

  9. 5.

    Na da muss das Land an Frankfurt aber schon ne richtig hohe Ablösesumme zahlen, dass die Stadt so nen beliebten Bürgermeister gehen lässt... ;-))

  10. 4.

    Guter Mann, er und Herr Hoffmann, der sicher zurückkehrt, um uns vom Rechtsextremismus zu befreien!

  11. 3.

    Auch wenn ich René Wilke nicht um sein Amt beneide, ist es eine gute Entscheidung von Dietmar Woidke, die ihm wieder etwas Luft verschafft. Also wenn so Notlösungen aussehen, dann brauchen wir zukünftg noch mehr Krisen. Nein ganz klar, dass ist eine strategische Meisterleistung.

  12. 2.

    Frankfurt/ Oder verliert einen guten Mann. Ich wünsche ihm alles Gute, das er seine Talente und seinen Rückhalt nicht verliert.

  13. 1.

    Ich wünsche Herrn Wilke eine glückliche Hand und einen klaren Kopf.

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