Kommentar | Wilke wird Innenminister - Armutszeugnis oder Coup?
Frankfurts Oberbürgermeister soll Brandenburgs neuer Innenminister werden. Nach der Ankündigung durch Ministerpräsident Woidke stellt sich die Frage, ob die Entscheidung eine Notlösung oder eine strategische Meisterleistung war. Ein Kommentar von Thomas Bittner
Auf den ersten Blick ist Dietmar Woidke mit der Personalie René Wilke ein Coup gelungen. Ein von allen Seiten gelobter Politiker wechselt von der Frankfurter Oder an die Potsdamer Havel. Zustimmung und Lob kommen nicht nur aus den Reihen von SPD und BSW. Selbst CDU, Linke und Grüne fallen in den Beifall ein. Von Geradlinigkeit und Kompetenz, von Pragmatismus und Verantwortungsbewusstsein ist die Rede. In der kommunalen Familie – unter Bürgermeistern und Landräten – ist er als Mann mit überparteilicher Handschrift beliebt.
Das Innenministerium, in Brandenburg auch für die Kommunen, für Kreise, Städte und Gemeinden zuständig, wird bald von einem Politiker geführt, der sieben Jahre lang die Geschicke einer geschrumpften Großstadt lenkte. Sein Vor-Vor-Vorgänger, SPD-Innenminister Schröter, wollte Frankfurt (Oder) vor einigen Jahren mit einer Kommunalreform zur Stadt ohne Kreisfreiheit degradieren. Wilke hielt dagegen. Und sicherte sich den Respekt vieler Oderstädter.
Auch beim Thema Migration redete er nicht um die Probleme herum, die er als Oberhaupt einer Grenzstadt hautnah zu spüren bekam. Er kennt die Wirkungen illegaler Einreisen, aber auch die Folgen verstärkter Grenzkontrollen für das Alltagsleben. Trotz aller Kritik: Er blieb dabei sachlich, bewies klare Haltung gegen Rechtsextremisten.
Ex-Linker mit gutem Draht zu CDU-Landräten
Wilke hat auch eine Vergangenheit als linker Landtagsabgeordneter, er weiß um das Zusammenspiel zwischen Regierenden und Abgeordneten, er beherrscht die Kommunikation mit den verschiedenen Ebenen. Er hat einen Draht zu CDU-Landräten wie zur linken außerparlamentarischen Opposition, zu den Grünen seiner Heimatstadt genau wie zum Bündnis Sahra Wagenknecht, obwohl er unter anderem wegen der Namensgeberin aus der Linkspartei ausgetreten war. Er galt als überparteilicher und aussichtsreicher Oberbürgermeisterkandidat für 2026, der in Frankfurt dem Aufstieg der AfD etwas Substantielles hätte entgegensetzen können.
Ein solcher Politiker könnte genau der Richtige sein, den nicht nur die Oderstadt, sondern das ganze Land jetzt braucht. Den Dietmar Woidke jetzt braucht.
Kein Sozialdemokrat für ein Schlüsselressort der Landespolitik
Auf den zweiten Blick ist die Entscheidung für Wilke aber auch ein Armutszeugnis für Dietmar Woidke. Die SPD, regierungserfahren wie keine zweite Partei im Land, schafft es nicht, einen Sozialdemokraten aus den eigenen Reihen für ein Schlüsselressort der Landespolitik aufzubieten. Nicht aus der Runde ihrer Landräte, nicht aus dem Kreis der Landtagsabgeordneten.
Weil sich inzwischen Teile der Partei bei wichtigen Themen wie Migration oder Umgang mit der AfD so gegenüberstehen, dass sich der Landesvorsitzende und Ministerpräsident auf eine Seite schlagen müsste und die Stabilität im Landesverband gefährdet wäre? Weil sich SPD-Lager misstrauisch belauern und auf Fehler der anderen Seite warten? Deshalb muss nun ein Politiker von außen die sozialdemokratischen Grundlinien der Innenpolitik und Kommunalverwaltung in der Koalition durchsetzen.
Vielleicht wird Wilke bald selbst ein SPD-Parteibuch in der Hand halten. Bei geschickter Amtsführung könnte er dann an allen Interessengruppen der märkischen SPD vorbeiziehen. Auf den ersten Blick wäre das ein faszinierender Aufstieg eines politischen Talents, auf den zweiten Blick ein Beleg für die fehlende strategische Aufstellung der Brandenburg-Partei SPD.
Sendung: Inforadio, 19.05.2025, 18.30 Uhr