NS-Aufarbeitung - Wie in Tröbitz an den "verlorenen Transport" erinnert wird

Vor 80 Jahren strandet ein Transport mit mehr als 2.000 jüdischen Häftlingen aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen im südbrandenburgischen Tröbitz. Dort finden die Überlebenden Hilfe und prägen den Ort bis heute. Von Johanna Sagmeister
Im April 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, irrt ein Zug aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen (Niedersachsen) durch den immer enger werdenden Korridor des noch nicht von Alliierten befreiten Deutschlands. In den Waggons sitzen 2.400 jüdische Häftlinge, dicht gedrängt, ohne Nahrung und Wasser, viele von ihnen erkrankt an Tuberkulose und Typhus. Hunderte Menschen starben auf dem Weg und wurden in Massengräbern neben den Schienen begraben.
Züge wie diesen gab es einige. Allein aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen wurden drei losgeschickt. Ziel: das Konzentrationslager Theresienstadt im Protektorat Böhmen und Mähren. Die SS versuchte möglichst viele Häftlinge noch in letzter Minute verschwinden zu lassen. "Der Verlorene Transport erinnert uns eindrücklich daran, dass die Vernichtung der Juden für die deutschen Täter bis in die letzten Stunden des NS-Staates zentral war", sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden.
Dieser Zug aber war etwas Besonderes. Er wird heute der "Verlorene Transport" genannt, weil zeitweise unklar war, wo er steckte im Chaos der letzten Kriegstage, immer nahe der Front und den vorrückenden Amerikanern und der Roten Armee.
Tröbitz erlebt einen Wendepunkt
Nach zwei Wochen, am 21. April 1945, verhindert eine zerstörte Brücke vor Tröbitz (Elbe-Elster) die Weiterfahrt. Mehr als 2.000 ausgehungerte und teils schwer kranke Menschen treffen auf ein Dorf mit deutlich weniger Einwohnern. Für Tröbitz ein Wendepunkt, erinnert sich Zeitzeuge Werner Mann. "Die Juden konfrontierten uns mit dem Leid, das verursacht wurde."
Zwei Tage später nimmt die Rote Armee Tröbitz ein, befreit auch den Zug und die Häftlinge. Sie bringen die meisten Menschen in einem ehemaligen Zwangsarbeiterlager unter, aber sie weisen auch die Einwohner von Tröbitz an, den jüdischen Überlebenden Platz in ihren Häusern zu machen oder sie ihnen ganz zu überlassen. Die Tröbitzer haben Angst und gehorchen. Aber auch aus eigenem Mitgefühl hätten viele den Juden geholfen, sagt Werner Mann. Sie pflegten die an Typhus Erkrankten und brachten sich damit selbst in Gefahr. Weitere 320 Menschen starben, unter ihnen auch 26 Dorfbewohner, die sich angesteckt hatten.

Werner Mann ist damals zehn Jahre alt und heute einer der letzten lebenden Zeitzeugen. Er setzt sich dafür ein, dass die Ereignisse aus dem April 1945 nicht in Vergessenheit geraten. Für ihn sei es eine Verpflichtung, "daran zu erinnern, was war und was nicht wieder passieren darf", sagt er.
Deutsch-jüdische Begegnung
Die Überlebenden verließen Tröbitz nach einigen Monaten wieder. Doch die Geschichte ist im Ort bis heute präsent. Ein jüdischer Friedhof, ein Massengrab und Gedenktafeln erinnern an den April 1945. "Antrieb waren und sind Tröbitzer Bürger, die die Gedenkorte pflegen und den Kontakt zu Betroffenen wachhalten", sagt der heutige Bürgermeister Holger Gantke (CDU).

Regelmäßig kommen Jüdinnen und Juden, die damals gerettet wurden, nach Tröbitz zurück. Aus der Hilfe der Tröbitzer ist eine neue Form der deutsch-jüdischen Begegnung entstanden. In einer Ausstellung werden die Geschichten von überlebenden Kindern erzählt. Zum Beispiel die von Mirjam Lapid. Sie war zwölf Jahre alt, als sie gemeinsam mit ihrer Schwester und Mutter aus dem Zug befreit wurde. Die niederländische Familie wurde 1940 ins KZ Bergen-Belsen deportiert, wo ihr Vater ermordet wurde.
Nach all dem Leid sei Tröbitz ihr "Happy End" gewesen. "Wir kamen zu diesem Ort und sahen, dass es anständige Deutsche gab und anständige Menschen auf der Welt", sagt sie in einem Ausstellungsvideo. "Die Russen waren unsere Befreier und die Menschen aus Tröbitz waren unsere Engel", so Mirjam Lapid.
Mahnung an nächste Generation
Immer wieder kam Mirjam Lapid nach Deutschland, nahm ihre Kinder und Enkelkinder mit, um ihnen die Grausamkeit im KZ Bergen-Belsen und die unerwartete Hilfsbereitschaft in Tröbitz zu zeigen. "Zum letzten Mal war sie zum Gedenktag vor zwei Jahren hier", erzählt Werner Mann, der durch die Erinnerungsarbeit eine tiefe Freundschaft mit ihr aufgebaut hatte, "wenige Monate später ist sie mit 90 Jahren gestorben".

Acht Überlebende waren laut einem rbb-Reporter zu der Gedenkveranstaltung anlässlich des 80. Jahrestags am Montag in Tröbitz gekommen, begleitet von Angehörigen. Die Weitergabe der Erinnerung und die damit verbundene Mahnung an die nächste Generation ist in Tröbitz längst Teil des Gedenkens geworden. "Auch wenn irgendwann keine Zeitzeugen mehr zu den Veranstaltungen kommen, werden wir den Tag auf jeden Fall weiter würdigen", sagt Holger Gantke. "Wir sind täglich mit dieser Geschichte konfrontiert - und das wird auch so bleiben", so der Bürgermeister.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 28.04.2025, 19:30 Uhr