Theatertreffen 2025 - Wunden lecken im Abgrund

Mo. 19.05.25 | 14:22 Uhr | Von Barbara Behrendt
Archivbild .Impressionen von Haus der Berliner Festspiele. (Quelle: imago images/Chiussi)
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Audio: rbb24 Inforadio | 19.05.2025 | Behrendt, Barbara; Dahl, Sabine | Bild: imago images/Chiussi

Es wurde viel zurückgeschaut beim 62. Berliner Theatertreffen - auf das familiäre, das digitale, das individuelle und das künstlerische Erbe. Am meisten überzeugten aber die Arbeiten, in denen Menschen auf der Bühne auch das Leben feiern. Von Barbara Behrendt

"Herzlich Willkommen im Abgrund" hatte der Intendant der Berliner Festspiele Matthias Pees zu Beginn des Theatertreffens die Besucher:innen begrüßt. Damit war einerseits unsere Gegenwart gemeint, andererseits die zehn Inszenierungen, die die Kritiker:innen-Jury (das Alleinstellungsmerkmal des Festivals) aus insgesamt 738 ausgewählt hatte.

So düster wie angekündigt zeigte sich das Festival dann allerdings längst nicht. Ja, es gab sie: die schwarze Interpretation von "Bernarda Albas Haus", in der die Regisseurin Katie Mitchell den modernen spanischen Klassiker im kollektiven Frauenselbstmord enden lässt; das dunkel dräuende Fetisch-Melodram "Double Serpent" in der Regie von Ersan Mondtag. Die meisten dieser nachtgeschwärzten Inszenierungen ertranken in ihren effektvollen, überladenen Regie-Konzepten.

"Double Serpent": ein Festival-Tiefpunkt

Vor allem "Double Serpent" bescherte dem Festival am Abschlusswochenende einen steilen Ausreißer nach unten, in jeder Hinsicht. Der krude Plot verhandelt den Fetisch eines jungen Schwulen für blutige Doktorspiele, den er sich zugezogen hat, als er seinen Stiefvater bei illegalen Organtransplantationen beobachtete. Regie, Jury und die Wiesbadener Theaterintendanz (wo die Produktion entstand) werten die vielen Zuschauer:innen, die den Saal frühzeitig verlassen, als Erfolg: Man gelange an nicht mehr auszuhaltende Schmerzpunkte! Vielleicht aber ist der trashige Grusel-BDSM-Kitsch, den Mondtag wie eh und je mit oberflächlichen Horror-Effekten inszeniert, ja auch einfach nur zum Fluchtergreifen fad.

Statische Regiekonzepte

Die gefeierten Inszenierungen waren andere. Oft jene, die den Geschichten, den Figuren mehr Raum bieten als solche mit den statischen Regiekonzepten. Die auf zugängliche, spielerische Weise nicht nur die Theater-Bubble adressieren. Und die einen Blick aus dem Abgrund hinaus nach vorn werfen. Etwa die herzerwärmende migrantische Mutter-Sohn-Geschichte "Unser Deutschlandmärchen" vom Berliner Maxim Gorki Theater, inszeniert von Hakan Savaş Mican. Oder Jan Friedrichs menschenfreundliche Magdeburger Bühnenadaption von Kim de l’Horizons preisgekröntem Roman "Blutbuch".

Zum ersten Mal in der Festivalgeschichte war damit das Theater Magdeburg zu Gast und lieferte gleich ein Publikums-Highlight. Und ein Schauspiel-Highlight: Die junge österreichische Schauspielerin Carmen Steinert bekam für ihre Rollen darin den renommierten Alfred-Kerr-Darstellerpreis verliehen. Steinert war von Tränen überwältigt und erklärte bei der Preisverleihung dem Theater kämpferisch ihre Liebe: "Theater ist einfach geil, das wird es auch immer bleiben. Ein paar Leute müssen das noch kapieren, wir lassen uns nicht unterkriegen. Langsam checke ich es."

Ein Highlight: "Blutbuch" aus Magdeburg

Auch die Jurorin und Schauspielerin Bettina Stucky pochte auf das "wertvolle Kleinod Theater", das sich eben nicht der Verwertbarkeit unterordnen müsse, politisch und finanziell aber stark unter Druck stehe. Immer wieder war der Spardruck, vor allem in der Berliner Kultur, ein Thema beim Festival. So auch nach den Gastspielen von Anita Vulesicas Hamburger Inszenierung "Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh", als das Ensemble einen Aufruf zum Protest gegen das Kaputtsparen der Berliner Theater verlas. Die Inszenierung selbst blieb allerdings hinter den Erwartungen und auch hinter der klugen Vorlage des experimentellen und politischen Autors Georges Perec zurück. Mehr als redundanter Oberflächenspaß war nicht.

Herausragendes Schauspiel bleibt selten

Inszenierungen mit herausragendem Schauspiel blieben die Seltenheit. Immerhin mit einem durch und durch empowernden und elektrisierenden Ensemble rockte Florentina Holzinger das Festival, eingeladen mit der rauschhaften Skandal-Oper "Sancta". Darin wird unter anderem eine lesbische Päpstin gefeiert – ausgerechnet am Tag der Papstwahl war es in Berlin zu sehen. "Es ist ein Mann", informierte die Festivalleiterin hernach augenzwinkernd auf der Bühne.

Immerhin zeigt das Festival, dass sich das Theater nah an den gesellschaftlichen Befindlichkeiten aufstellt. Mit der power-feministischen Florentina Holzinger einerseits und der pessimistischen Kate Mitchell andererseits, die vor dem patriarchalen Backlash zu warnen scheint. Das Reenactment von Pina Bauschs legendärem Tanztheater "Kontakthof", mit einem Teil der Original-Besetzung von 1978, lässt sich hier ebenfalls einordnen: als visionäre Sicht auf die belastete Rolle der Frau, die als süße Kokette posiert und von Männern begrabscht wird – so viel hat sich da bis heute nicht geändert.

Aber auch mit den Fragen nach Herkunft, Migrations- und Familiengeschichten. Diese Themen treiben die Literatur ebenso um wie das Theater. Wobei das Theater noch deutlich mehr die eigenen Komfortzonen, Bubbles und woken Umfelder verlassen könnte in der inhaltlichen Auseinandersetzung.

Ist eine VR-Inszenierung Theater?

Dezidiert politisch wird es allein in Luise Voigts Inszenierung von Bertolt Brechts "Die Gewehre der Frau Carrar", ein Stück, das erfrischend aktuell die Frage nach Waffenlieferungen im Widerstand gegen den Faschismus diskutiert. Nur ergänzt Voigt Brecht leider um den wabernden, lyrischen Text "Würgendes Blei" von Björn S.C. Deigner, mit dem der Abend im Nirgendwo strandet.

Natürlich soll die Jury nicht nur schönes Schauspiel einladen, sondern auch bemerkenswerte ästhetische Entwicklungen. Schon allein deshalb ist die kluge VR-Installation "EOL: End Of Life" des Wiener Kollektivs "Darum", bei aller Kritik dieses Formats beim Festival, hier richtig. Mit ausgefeilter Dramaturgie und interessanten Charakteren bewegt man sich durch den virtuellen Raum und beschäftigt sich mit nichts weniger als der Frage, was nach dem Tod von uns bleibt. In anderen Inszenierungen arbeiten sich die Regisseur:innen ästhetisch am künstlerischen Erbe ab, von Pina Bauschs Choreografien bis zu Bertolt Brechts Verfremdungseffekt.

Womit erreicht man Menschen im Theater?

Es ist eine starke Suchbewegung zu spüren, vor allem bei jungen Regisseur:innen: Womit erreicht man Menschen überhaupt noch im Theater? Was kann dieses Medium heute? Die digitalen Experimente werden womöglich zunehmen, doch die vom Publikum gefeierten Inszenierungen sind nach wie vor jene, bei denen man sich in Menschen auf der Bühne gespiegelt sieht und in deren Auseinandersetzungen mit der Welt. Live und vor Publikum. So wie in René Polleschs letzter Arbeit "ja nichts ist ok" mit Fabian Hinrichs von der Berliner Volksbühne.

Politische, eigenwillige und persönliche Inszenierungen bot in diesem Jahr übrigens vor allem das Rahmenprogramm. Die kleinen Performances, die Alumni des Internationalen Forums (ein Stipendiat:innenprogramm des Theatertreffens) aus aller Welt zeigten, waren zwar im Einzelnen etwas schmal, gaben im Ganzen aber einen erhellenden Einblick in die politische, internationale Performancekunst.

Schwache Diskussionskultur

Nur eines ist leider beim Theatertreffen völlig ins Abseits geraten: die qualitätvolle Diskussionskultur. Einst mal ein Festival, das vom harten Aufprall mit dem Publikum lebte, finden hier inzwischen nur noch lahme, langweilig moderierte Selbstbespiegelungsgespräche statt, die kaum mehr jemanden interessieren. Dabei sollte man die offenen, kontroversen Streitgespräche doch gerade nicht dem digitalen Hass-Raum überlassen. Wenn die Kultur es ernst meint mit dem "Sound der Demokratie", der laut Ex-Kulturstaatsministerin Claudia Roth vom Theater und der Kultur ausgeht, müssten hier die weitreichenden Leuchtturm-Diskussionen zum Thema Kulturkampf und Kulturfinanzierung geführt werden.

Sendung: Inforadio, 19.05.2025, 8:54 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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