Freizeit contra Naturschutz - Berlins boomender Wassertourismus und seine ökologischen Folgen

So 11.05.25 | 08:10 Uhr | Von Shea Westhoff
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Archivbild:Tretboot in der Sonne, fotografiert am 31.07.2024 in Berlin.(Quelle:imago images/Funke Foto Services)
Bild: imago images/Funke Foto Services

Freizeit auf den Gewässern der Stadt gehört zur Berliner DNA, belastet aber die Tier- und Pflanzenwelt. Die Wasserschutzpolizei ahndet Umweltverstöße, ist aber nicht üppig aufgestellt. Und der Senat plant den Ausbau des Wassertourismus. Von Shea Westhoff

Berlin meint es gut mit seinen Wassertouristen und -sportlern. Spree, Havel und Dahme und all die Buchten und Seen eröffnen eine regelrecht ausufernde Zahl an Freizeitmöglichkeiten. Raus aus dem lauten, beengten, überhitzten Moloch der Stadt? Kein Problem, ab ins nasse Idyll.

Der Umsatz der Wassertourismus-Branche stieg in der Region Berlin-Brandenburg laut einer Studie der Industrie- und Handelskammer in den letzten zehn Jahren von 200 auf 300 Millionen Euro. Auch in diesem Jahr werden Kanus, Stand-up-Paddle oder Party-Dampfer in der warmen Jahreszeit die friedlichen Wasserlandschaften in Wimmelbilder verwandeln.

Dass dadurch Konflikte programmiert sind: logisch. Etwa, wenn Anwohner die Wasserschutzpolizei rufen, weil lärmende Abiturienten im Gummiboot ihre Boombox aufdrehen. Oder weil sich Kanusportvereine über Tretboot-Touristen und deren bahnbrechende Nichtkenntnis der Wasserverkehrsregeln aufregen.

Uferzonen besonders belastet

Die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt durch den Trubel auf dem Wasser sind bei den Konflikten meist weniger Thema. Nora Kraatz spricht von Berliner Gewässern, die "völlig übernutzt" seien. "Wir dürfen nicht vergessen, dass wir da mit einem Lebensraum hantieren, der nicht nur dem Menschen vorbehalten ist, sondern auch ein ganz wichtiger Hotspot für viele Arten ist, die durch den Wassertourismus bedroht, zum Teil auch verdrängt werden", sagt die Referentin für Gewässerschutz des Naturschutzubundes (Nabu).

Besonders belastet seien die Uferzonen, "wo wirklich die Biodiversität boomt", wie Kraatz es ausdrückt. Intensiver Boot- und Kanusport sowie Wassertourismus fördere die Erosion der Ufer durch das häufige Anlegen. Auch der Wellenschlag motorisierter Wasserfahrzeuge ziehe Schäden an Uferzonen nach sich. Öl und Treibstoff, aber auch Bootstoiletten würden eine Vermüllung und Verschmutzung der Gewässer nach sich ziehen, so Kraatz. Und: Beim Verlassen der Wasserfahrzeuge abseits der Stege könne es zu Trittschäden in den sogenannten "Röhrichtbereichen" kommen.

Rückgang der Röhrichtgebiete

Der "Röhricht". Beschäftigt man sich mit den Berliner Seen und Flüssen, ist er omnipräsent. Röhricht scheint so etwas wie der Gold-Standard gesunder Gewässer zu sein. Es handelt sich um eine dichte Ansammlung von Wasserpflanzen im Uferbereich, wie Schilf und Rohrkolben, die wichtiger Lebensraum für Vögel, Fische und Insekten sind. Zugleich verbessert dieses Biotop die Wasserqualität, weil es Schadstoffe herausfiltert. "Wir haben seit Mitte des letzten Jahrhunderts einen Rückgang dieser Röhrichtgebiete um über die Hälfte festgestellt", sagt Kraatz.

Unklar ist, inwieweit das tatsächlich auf den Wassertourismus zurückzuführen ist. Jedenfalls erholten sich die Bestände nach den 1980er Jahren wieder. Auch, weil der Gesetzgeber das fragile Biotop auf dem Schirm hat. Mit dem sogenannten "Röhrichtschutzprogramm" soll das Land Berlin die erforderlichen Maßnahmen veranlassen, diesen ufernahen Lebensraum zu schützen, etwa durch die Errichtung von Holzpalisaden als Schutz vor Bootswellenschlag. Alle fünf Jahre werden die Bestände anhand von Luftbildern beurteilt, so die Umweltverwaltung auf Anfrage.

343 Umweltordnungswidrigkeiten im letzten Jahr

Trotzdem, Wassertourismus und Naturschutz bilden ein Spannungsfeld. Davon zeugt auch die Nachfrage bei der Wasserschutzpolizei. Hauptkommissarin Sabine Schumann, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Prävention, hat die Zahlen der verzeichneten Verstöße parat.

So wurden von der Wasserschutzpolizei im vergangenen Jahr 343 sogenannte Umweltordnungswidrigkeiten gesammelt. Außerdem 15 Verstöße gegen das Naturschutzgesetz. Schumann nennt das Durchqueren von Röhrichtbeständen oder das Befahren von Seerosen als Beispiel. Und dann zählt sie auf: Gewässerverunreinigungen: 72. Unerlaubter Umgang mit Abfällen: 21. Fischwilderei: 40. Verstoß gegen das Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz: 47. Die Liste ließe sich fortführen. Wie sich die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren entwickelt haben, ist allerdings unklar. Eine entsprechende Statistik lieferte die Polizei auf Nachfrage bislang nicht.

Unklar ist ebenfalls, inwieweit die oben beschriebenen Delikte eine explizite Folge des Wassertourismus sind und wie hoch die Dunkelziffer an Umweltvergehen ist.

Allerdings zeigt die Anzahl der Einsatzkräfte, die für die Überwachung und Sicherheit der Berliner Wasserstraßen, Seen und Häfen zuständig sind, wie präsent die Wasserschutzpolizei bei der Ahndung von Delikten sein kann – oder eben nicht sein kann.

Wasserschutzpolizei dünn besetzt

Die Personalstärke wirkt jedenfalls dünn. Von den 27.208 Beschäftigten der Berliner Polizei im Jahr 2023 gehörten 0,624 Prozent zur Wasserschutzpolizei. Das wären dann etwa 170 Einsatzkräfte. Zuständig, vereinfacht gesagt, für die gesamte Wasserfläche der Metropole Berlin.

Zur Verfügung stehen ihnen 15 blau-weiße Stahlboote (zum Teil älter als 50 Jahre), drei Festrumpfschlauchboote und zwei Jetski-ähnliche sogenannte "BOS-Watercrafts".

Berlin will den Wassertourismus-Boom

Die knisternde Gemengelage aus einer offenbar am Limit agierenden Wasserschutzpolizei, besorgten Naturschutzvertretern sowie einer ernstzunehmenden Zahl an Umweltverstößen muss man sich klarmachen, wenn man nun auf die Pläne der Wirtschaftsverwaltung blickt.

Im Herbst 2024 beschloss der Senat auf Vorlage von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) ein Konzept zur Förderung des Wassertourismus in Berlin. Darin geht es auch um mehr Anlegestellen, Liegeplätze oder einen Ausbau der Ladeinfrastruktur von E-Booten. Geplant war außerdem eine Kampagne, die für Berlin als Ziel für Wassertouristen werben soll. Das Ziel des auf zirka zehn Jahre angelegten Konzepts: noch mehr vom Wassertourismus profitieren. Bislang läuft noch die Planungsphase.

Beim Wirtschaftsfaktor Freizeit und Tourismus wird gerade weiter vorgeprescht, wenngleich bei einigen Akteuren bereits der Status Quo Sorgenfalten hervorruft.

Dem Vorstoß zugutehalten können Naturschutzverbände, dass der bislang weitgehend unkontrollierte Wassertourismus nun eine klare Strategie erhalten soll und zudem einige gegenwärtige Probleme der Berliner Gewässer thematisiert werden. "Von Beginn an wurden die Anliegen des Natur- und Umweltschutzes mitgedacht", teilt die Wirtschaftsverwaltung auf Nachfrage mit.

Wassertourismus drängt in Außenbezirke

Allerdings kritisierte die Allianz "Wassernetz Berlin", zu der auch der Nabu und die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) gehören, dass immer noch offene Fragen in Bezug auf den Umweltschutz blieben. Zudem sei die Allianz nicht umfassend in die Entwicklung des Wassertourismuskonzepts eingebunden worden.

Die Wirtschaftsverwaltung hält auf Nachfrage dagegen, dass sehr wohl mehrere "lokale Akteure identifiziert und bei der Erstellung des Konzeptes eingeladen" worden seien, mitzuwirken. Auch die BLN sei in zwei von drei "Fokusgruppengesprächen" angemeldet gewesen, heißt es. Sobald die Projektverantwortlichen fest stünden, könnten sich die Verbände zudem "an die jeweiligen Ansprechpersonen wenden, um auch weiterhin bei der Umsetzung einzelner Projekte mitzuwirken".

Klar ist, dass der Wassertourismus sich zunehmend bemerkbar machen wird auf den Gewässern, die knapp sieben Prozent der Gesamtfläche Berlins ausmachen. Seit dem Tourismuskonzept "2018+" sei die "Entzerrung von stärker aufgesuchten Gebieten und die Potenzialerschließung in den Außenbezirken" ein Ziel des Landes Berlin, teilt die Wirtschaftsverwaltung mit. Gleiches solle nun auch für den Wassertourismus Anwendung finden. Die Außenbezirke seien "der grün-blaue Eingang in die Hauptstadt".

Beitrag von Shea Westhoff

Kommentar

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86 Kommentare

  1. 86.

    Ich bin froh, dass das ökologische Bewusstsein unter den Menschen steigt. Wer keinen Käse mehr isst oder eine Onlinepetition für den Schutz invasiver Arten unterzeichnet, kann sich dann natürlich schon mal mit einer Fernreise per Flugzeug von der Weltrettung erholen - oder eben auch, indem er als Wassertourist/in die Natur demoliert. Das steht ihm/ihr zu! Und den Müll wegräumen sollen natürlich andere (die, die auch mehr Verzicht üben sollen).

  2. 84.

    Oh doch! Erziehungsmaßnahmen sind angebracht, anders läßt sich dieses Chaos nicht mehr beherrschen, sonst gerät alles aus dem Ruder und unsere Natur wird zerstört!

  3. 82.
    Antwort auf [Heidekind] vom 11.05.2025 um 10:31

    Das ist die verlogene Scheinheiligkeit dieser Leute.
    Und der Vorwurf des "Grünenbashing" so sie davor schützen.

  4. 81.

    Zum Glück gibt es tödliche Unfälle auf den Wasserstraßen nicht so oft. Der letzte Unfall mit tödlichen Ausgang war am 1,12,2024 als ein Ruderboot mit einem Schubverband zusammenstieß. Eine 56 jährige Ruderin verstarb bei diesem Unfall.

  5. 80.

    Zum Glück kommen tödliche Unfälle auf den Wasserstraßen nicht so oft vor. Der letzte tödliche Unfall ereignete sich am 01.12.2024 in Berlin-Spandau als auf der Unteren Havelwasserstraße ein Ruderboot mit einem Schubverband zusammen stieß. Das Opfer war eine der vier Ruderinnen des am Unfall beteiligten Ruderbootes.

  6. 79.

    Also den Sinn und Zweck einer Fahrerlaubnis würde ich jetzt nicht infrage stellen.
    Und die Grenzziehung bei 25 PS oder Charterschein mit Bootslängenbeschränkung ist schon ziemlich großzügig, für Touristen, die überhaupt keine Ahnung haben. Für Äquivalente im Straßenverkehr benötigen sie bereits einen Führerschein.

  7. 78.

    Also den Sinn und Zweck einer Fahrerlaubnis würde ich jetzt nicht infrage stellen.
    Und die Grenzziehung bei 25 PS oder Charterschein mit Bootslängenbeschränkung ist schon ziemlich großzügig, für Touristen, die überhaupt keine Ahnung haben. Für Äquivalente im Straßenverkehr benötigen sie bereits einen Führerschein.

  8. 76.

    Viele Kommentare sind ja die üblichen… von Verboten bis zu Größe und PS (auf 5) beschränken.
    Und selbstverständlich sind auch die sofort da, die jeden Tag sehen was da so alles passiert bzw. passieren könnte….
    Das Ganze klingt so als wäre 24/7 das reine Chaos auf den Gewässern.
    Im Beitrag kann man lesen, wie viele Verstöße es gab… Umweltverstöße reichen vermutlich von wirklicher Umweltverschmutzung bis zum ins Wasser pinkeln.
    Was ich im Beitrag vermisse sind die Unfälle… mit Verletzten oder gar Toten denn bei so einigen Kommentaren hier müsste es die zu Hauf geben.

  9. 75.

    In Brandenburg zum Beispiel, ist auf und an sehr vielen Gewässern, noch reichlich Platz, für Tourismus auf und am Wasser.
    Man müsste nur investieren, in Liegeplätze/Steganlagen, Radwege an Flüssen, Seen, Kanälen und in Campingplätze/Ferienhäuser, usw.
    Berlin/Brandenburg haben zusammen ca. 30 000 Quadratkilometer - da, sollte doch genügend Fläche vorhanden sein - wenn man endlich mehr Geld in Tourismus/Radtourismus/Wassertourismus investieren würde.

  10. 74.

    Weil in den Niederlanden die Größe bis 15 Meter und bis 20 kmh begrenzt ist ohne Bootsführerschein. Dadurch begrenzt sich ein Boot schon auf eine max PS Zahl und Größe. Und: Niederländer sind ein ganz anderes Völkchen. Nicht so egomanisch wie viele Deutschen auf dem Wasser.

  11. 73.

    Jetzt habe ich 66 Kommentare gelesen, na ja, das gleiche Für und Wider wie immer.
    Vielleicht sollten sich alle mal fragen, wie machen das die Niederländer? Dort gibt es gar keinen Sportbootführerschein.

  12. 72.

    Nur weil die Politik es uns im Großen nicht vorleben kann, heißt das nicht daß wir uns an deren Art und Weise miteinander umzugehen, halten müssen!
    Was ich bisher verstanden habe, ist daß der Ist-Zustand kritisch zu bewerten ist hinsichtlich Nachhaltigkeit und Umweltschutz.
    Ich kann mich an Bilder erinnern, da waren die Gewässer von Hamburg im Sommer maßlos überfüllt zu sehen. Scheint also kein Berlin-spezifisches Problem zu sein. Ich schließe mich dem Wunsch an, daß hier generell Regeln her müssen und diese sinnvoll Verbreitung finden. Andererseits haben wir ein generelles Problem: den Raubbau durch den Menschen an der Natur, die Ausbreitung des Menschen und der damit einhergehenden Verengung des Lebensraumes für die Natur!
    Wir brauchen Lösungsvorschläge mit Bedacht, und nicht solch eine gegenseitige Schuldzuweisung. Ganz so einfach ist es meist nicht, und bringt uns auch nicht weiter.

    Fischbrötchen essen an der Ostsee, und wo kommt der Fisch dafür größtenteils wirklich her?

  13. 71.
    Antwort auf [Heidekind] vom 11.05.2025 um 10:31

    Woher nehmen Sie diese Erkenntnis?

  14. 68.

    Und warum driften diese Fahrzeuge? Das ist genau das gleiche Spiel, wie bei den Hausbooten, die ohne Führerschein vermietet werden und die keinen Kiel haben. Beim kleinsten Windstoß driften die ab und gefährden so andere Wasserfahrzeuge. Da zumeist die Führer dieser Boote keine Erfahrung auf dem Wasser haben regieren sie meist panisch.
    Ich kann mich an eine Jugendfreizeit erinnern, wo ich als Betreuer dabei war und wir Richtung Müritz mit Kanus unterwegs waren. Da kam so ein Dwarstreiber uns entgegen und wurde von einer Boe erwischt und auf die andere Seite des Kanals getrieben. Wären wir weiter auf unserem Kurs geblieben wären wir zwischen Böschung und Hausboot eingequetschtw orden. Uns blieb nur die Möglichkeit entgegen den Regeln auf die andere Seite des Kanals zu rudern und das innerhalb von Sekunden. Der Hausbootführer versuchte hektisch gegenzusteuern und verlor im Endeffekt die Kontrolle über das Hausboot und krachte gegen die Böschung!

  15. 67.

    Dieser Beitrag gefällt mir. Ich bin 1-2x nur im Jahr auf dem Wannsee mit einem Leihschiffchen und 15PS Außenbordmotor unterwegs. Einfach, weil es chillig ist und richtig Spaß macht. Ich kenne noch die 8PS Antriebe, welche ich persönlich kreuzgefährlich hielt. Man konnte mit diesem Minipropeller am Motor weder gegen die Wellen des Wannsee ankämpfen noch schnell mal die Fahrrinne queren. Kamen Segler dazu wurde es noch unheimlicher. die 8PSler röhrten extrem laut und das Bötchen wackelte über die das Wasser ohne irgendwie sich richtig zu bewegen. Niun sind 15 PS angesagt aber leider wurde auch die Wasserfahrzeuge Marke Eigenbau immer größer. Diese Mischung ist ebenfalls extrem gefährlich. Ein 12 Personenfloß und hinten so ein Spielzeugmotor. Da sollten die Verleiher in die Pflicht genommen werden.

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