Interview | Kulturwissenschaftler über BFV-Studie - "Der Fußball war ein Unterstützer des NS-Staats"

Do 08.05.25 | 17:31 Uhr
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Deutsche Fußballer zeigen bei den Olympischen Sommerspielen 1936 den Hitlergruß. (Foto: IMAGO / United Archives International)
Deutsche Fußballer zeigen bei den Olympischen Sommerspielen 1936 den Hitlergruß. (Foto: IMAGO / United Archives International) | Bild: IMAGO / United Archives International

Der Berliner Fußball-Verband hat in einer Studie seine Aktivitäten in der NS-Zeit untersuchen lassen. Projektleiter Thomas Schneider spricht im Interview über die gesellschaftliche Funktion und damalige Rolle des Fußballs sowie die Lehren für heute.

Am 8. Mai 2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zum 80. Mal. In Berlin ist dieser Tag zum Feiertag erklärt worden.

Im Fußball ist die Aufarbeitung der eigenen Geschichte in der NS-Zeit lange Zeit auf der Strecke geblieben. Der Berliner Fußball-Verband (BFV) hat vor drei Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, um die eigene Historie in der Zeit zwischen 1933 und 1945 näher zu beleuchten.

Der Kulturwissenschaftler Thomas Schneider war zusammen mit Historiker Daniel Küchenmeister Projektleiter der Studie "Geschichte des Berliner Fußballs in der NS-Zeit". Die komplette Studie wird im Herbst 2025 vorgestellt. Im Interview mit rbb|24 spricht Kulturwissenschaftler Schneider über die Rolle des Fußballs und seiner Verbände in der NS-Zeit.

rbb24: Herr Schneider, der BFV ist der bisher einzige Landes- und Regionalfußballverband, der durch eine beauftragte Studie derartig detailliert in seine Aktivitäten während der NS-Zeit blickt. Glauben Sie, es gibt einen mangelnden Aufklärungswillen im Fußball oder woran könnte das liegen?

Thomas Schneider: Seitdem der DFB vor 20 Jahren die erste Studie zu diesem Thema in Auftrag gegeben hat, ist viel passiert. Die Debatte hält seitdem an. Der Berliner Fußball-Verband befasst sich seit über zehn Jahren intensiv mit der eigenen Geschichte und hat festgestellt, dass das Wissen zu den eigenen Aktivitäten während der NS-Zeit lückenhaft ist. Vordergründig wusste man, dass sich der Verband damals aufgelöst hatte und in den NS-Strukturen im sogenannten "Gau III" aufgegangen ist. Aber so einfach ist es nicht. So entstanden viele Fragen beim Verband, die vor drei Jahren anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des BFV zu dieser Studie führten.

Weshalb lohnt es sich so sehr, im Rahmen der NS-Aufarbeitung dezidiert auch auf den Sport und Fußball in Deutschland zu schauen?

Die Weimarer Republik war eine Zeit, in der sich der Fußball zum Massensport entwickelte und gewisse Relevanz in der Gesellschaft erlangte. Viele Menschen gingen zum Fußball oder spielten aktiv. Daraus ergab sich für unsere Forschung die Fragen: In welcher Weise wurde der Fußball von den Nazis instrumentalisiert? Inwieweit wird er gebraucht, um das NS-Regime zu stützen? Indem das Führerprinzip auf Vereinsebene durchgesetzt und der Arier-Paragraph eingeführt wird; bestimmte Bevölkerungsgruppen – zuallererst jüdische Mitbürger – ausgegrenzt werden; die Ideologie durchgesetzt wird.

Es ist ja nicht so, dass – anders als oft wahrgenommen – 1933 plötzlich die Nazis da waren. Natürlich bekam Hitler damals die Macht übertragen und erließ gleich erste einleitende Gesetze, aber es war nicht sofort der bekannte, auf allen Ebenen durchregierende NS-Staat. Bis sich all das aber gesellschaftlich durchgesetzt hatte, brauchte es eine gewisse Zeit – und Unterstützer. Und genau diese Rolle muss man dem Sport zuordnen.

Sie konnten in Ihrer Studie nachweisen, dass der Verband Brandenburgischer Ballspielvereine (VBB) – der Vorgänger des BFV - sich in der NS-Zeit faktisch auflöste und bereitwillig dem Regime von Adolf Hitler unterwarf. Wie geschah das und welche Wirkung hatte das auf die Zivilgesellschaft?

Es gab im Sommer 1933 eine Versammlung des VBB, in der er innerhalb von knapp 20 Minuten entschied, sich aufzulösen und fortan den Sportstrukturen des NS-Staats unterzuordnen. Von Verweigerung oder gar Widerstand kann man hier überhaupt nicht reden. Das hatte natürlich eine Signalwirkung auf die Vereine im Verband. Es gab daneben noch die Arbeitervereine, die verboten wurden und sich teilweise umgewandelt haben, während einzelne Sportler Widerstand leisteten. Einige von ihnen wurden hingerichtet oder mundtot gemacht. Es hatte den erhofften Effekt, die Nazis konnten den Sport auf Linie bringen und damit die gesellschaftliche Akzeptanz des Regimes erhöhen. Der Fußball hat so zur Stützung des Systems beigetragen. Die Personen im Verband bzw. dann im Gau III waren aber nur in der Spitze stramme, überzeugte Nazis. Die Leute in der zweiten Reihe waren es nicht, hielten aber den Spielbetrieb am Laufen und den Verband sozusagen am Leben.

Welche Menschen durften nach dem Wandel im Verband plötzlich nicht mehr Fußball spielen?

Das waren entsprechend der NS-Ideologie zuallererst jüdische Mitbürger. Entweder sie traten freiwillig aus oder ihnen wurde durch konkrete Satzungsänderungen in den einzelnen Vereinen untersagt, weiter Mitglied zu sein und am Spielbetrieb teilzunehmen. So waren sie gezwungen, eigene Strukturen aufzubauen. Es gab auch schon vor 1933 jüdische Vereine in Berlin, die Mehrzahl kickte aber bei bürgerlichen Vereinen. So kam es zwischen 1933 und 1938 zu einer kurzen Scheinblüte des jüdischen Fußballs in Berlin. Er baute einen recht großen und erfolgreichen Spielbetrieb auf – unter den Restriktionen des NS-Regimes. Es war auch ein Ziel der Studie, jenen Spielbetrieb nachzuzeichnen und diese Menschen so in die Erinnerung des Verbands zu holen. Es ist zudem bemerkenswert, wie schnell nach 1945 wieder ein Verein von jüdischen Mitbürgern gegründet wurde und dieser am Spielbetrieb teilnahm.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch der Sport in Deutschland neu organisiert. Dabei übernahmen zahlreiche Funktionäre des früheren VBB, die dem NS-Regime noch gedient hatten, erneut wichtige Ämter. Wie passt das zu dem Prozess, den man gemeinhin als "Entnazifizierung" kennt?

Natürlich nicht, aber auch hier muss man genauer gucken. Ohne es an einer Person festmachen zu wollen: wir sind auf einen Funktionär gestoßen, der zwischen 1933 und 1945 in seiner Position für "Gau III" das Regime definitiv gestützt hat. Nach heutigen Maßstäben würden wir von einem Nazi sprechen. Er ist nach 1945 – der Verband gründete sich erst 1949 neu – von den Alliierten dazu berufen worden, die Sektion Fußball zu leiten und den zunächst provisorischen Spielbetriebs aufzubauen. Er hatte dann noch viele Jahre eine Funktion im Präsidium. Er muss also als anerkannter Fachmann gegolten und sich hohe Verdienste erworben haben. Und er war einer der treibenden Kräfte dahinter, einen von jüdischen Rückkehrern gegründeten Verein namens "Hakoah" wieder in den Berliner Spielbetrieb einzugliedern. Das verleiht dem Ganzen eine fast schon schillernde Ambivalenz.

Die historische Lehre ist: es kommt darauf an, so zeitig wie möglich eine Haltung zu entwickeln, sich dem entgegenzustellen und klarzumachen, dass kein Mitbürger Diskriminierung erfahren darf.

Thomas Schneider, Projektleiter der Studie "Geschichte des Berliner Fußballs in der NS-Zeit"

Sie empfehlen dem Berliner Fußball-Verband, die Erkenntnisse der Studie dafür zu nutzen, der gegenwärtigen und zukünftigen Verbandsarbeit wichtige Impulse zu verpassen. Welche Ideen haben Sie hier konkret?

Wir empfehlen etwaige Schulungen für Verbandsmitglieder, Schiedsrichter und weitere Gruppen. Der Verband kann aber natürlich auch auf seine Vereine ausstrahlen, die ebenfalls ihre Vergangenheit beleuchten und Lücken in der eigenen Historie öffentlich wirksam füllen wollen. Zudem geht es darum, geeignete Partner zu suchen. In den heutigen Zeiten kommt es darauf an, sich mit denen zu vernetzen, die ebenfalls die Demokratie stärken und sich gegen Diskriminierung stellen wollen. Es braucht mehr Kooperationen zwischen Bildungsplattformen, Vereinen und Zivilgesellschaft.

Wir erleben einen Rechtsruck auf der Welt. Auch in Deutschland ist er zu beobachten. Die mittlerweile vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestufte AfD steht laut aktuellen Wahlumfragen bei fast 25 Prozent. Erkennen Sie diese Entwicklungen auch im Fußball?

Ich habe als Kulturwissenschaftler natürlich eine andere Aufgabe, als das zu bewerten, aber auch mit einem oberflächlichen Blick lässt sich erkennen, dass es von rechts eine aufgeheizte und ausländerfeindliche Stimmung gibt. Das ist natürlich ein Problem. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und den weiteren Folgen sind aber auch immer mehr antisemitische Vorfälle zu beobachten. Hier kann als Verband nur die Lösung sein, für Demokratie und Antidiskriminierung einzustehen. Das muss auf und neben dem Platz in konkrete Maßnahmen münden, die jenen Entwicklungen entgegenwirken.

Sind hier schon Parallelen zur damaligen Zeit sichtbar?

Unsere Studie kann vielleicht eine Aufmerksamkeit dafür schaffen, worauf es ankommt: dass man eben nicht wartet, bis es zu spät ist. Auch der Umbruch von 1933 hatte eine Vorgeschichte, auch damals sind gewisse Dinge ins Rutschen gekommen, die von vielen erst einmal für nicht so gefährlich gehalten wurden. Die historische Lehre ist: es kommt darauf an, so zeitig wie möglich eine Haltung zu entwickeln, sich dem entgegenzustellen und klarzumachen, dass kein Mitbürger Diskriminierung erfahren darf. Sich erst 1933 dem entgegenzustellen, war viel zu spät – das darf nie wieder passieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Marc Schwitzky, rbb|24 Sport.

Sendung: rbb Der Tag, 08.05.2025, 18 Uhr

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17 Kommentare

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  1. 16.

    Und was ist nun mit Ihnen? Wie stehen Sie zu der Nazivergangenheit im Berliner Fußball? Darum gehts doch.

  2. 14.

    Darüber ist viel zu wenig bekannt und es ist erschütternd!

  3. 13.

    Du hast nix verstanden, läßt nur diese einfältige Propaganda los. Aber gehst nicht auf den Artikel ein, daß der Fußball den Nationalsozialismus unterstützte! Problem damit?

  4. 12.

    Schön, dass Sie Alle an Ihrem Wissen teilnehmen lassen.
    Ich habe nichts von irgendeiner Nationalmannschaft geschrieben, noch darauf hingewiesen, noch Interesse daran bekundet.
    Im Artikel geht es um den Berliner Fußballsport und darauf bezogen sich meine Fragen und hoffe auf Antworten.
    Aber, Sie wollen uns auf "Katharina Witt, Birgit Fischer, Frank Schoebel oder Ute Freudenberg" hinweisen, die rein gar nichts mit dem Berliner Fußball, noch mit dem Berliner Fußball in der NS-Zeit zu tun haben.
    Auch nicht Hansa Rostock oder Mönchengladbach.
    Und, noch eins: Hertha existiert schon zur Nazizeit, der BFC wurde 1966 gegründet.

  5. 10.

    Die FU(Freie Universität) hatte einen ihrer besten Historiker beauftragt genau das zu klären. Er hat darüber ein Buch geschrieben.
    Da der Verein im Wedding zu Hause ist(damals schon ein Bezirk der Arbeiterklasse) ist Hertha BSC traditionell von SPD zugewendeten Fans besucht worden. Auch jüdische Veieinsmitglieder hatte der Verein.
    Ihnen geht es wie üblich nur ums diffamieren.
    Das ist äußerst armselig und billig !!!

  6. 9.

    Otto Nerz der erste Reichstrainer vom Spd Mann ab 1919 direkt zu SA und NSDAP nach 1933. Antisemit.

    ( siehe Wikipedia )

  7. 8.

    NS-Reichstrainer Sepp Herberger bitte nicht vergessen.

  8. 7.

    Sehr lobenswert, diese Studie in Auftrag gegeben zu haben.

  9. 6.

    Was soll andienen bedeuten? Wir haben heute eine Nationalmannschaft, deren Spiele von Bundeskanzler und Bundesministern besucht werden. Ist das auch andienen? Nein. Damals wie heute ist die " Mannschaft" ein Garant für weltweite Anerkennung und es wird von ihr erwartet, dass sie ihr Land würdig vertritt und genau das machten Fußballer unter Hitlers Diktatur auch, das machten Katharina Witt, Birgit Fischer, Frank Schoebel oder Ute Freudenberg nicht anders und das ist kein Vorwurf, sondern der rein menschliche Drang im Leben weiterzukommen mit dem Wissen, dass es vorbei ist, wenn man die Spur wechselt. Jeder Staatschef, ob er nun Demokrat oder Diktator ist, will sich im Ruhm der Sportler seines Landes sonnen, auch das Verhältnis Özil zu Erdogan ist dafür ein Beispiel. Es braucht Vergangenheit, um Lehren für die Zukunft zu ziehen und kein Mensch weiß, was die Zukunft bringt.

  10. 5.

    Leider fehlt eine namentliche Auflistung der Vereine, die sich den Faschisten andienten. Auch wäre interessant zu wissen, welche Rolle, zB. Hertha BSC, in der Nazizeit einnahm,
    Ein solches Nachfragen war von M.P.C.S nicht zu erwarten.
    Ansonsten bleibt der Beitrag ohne festen Bezugspunkt.

  11. 4.

    Warum gerade Anhänger genau dieser 3 Vereine? Borussenfront Mönchengladbach z.b. kein Begriff?
    Oder gibts einfach nur persönliche Befindlichkeiten mit diesen 3 Vereinen?

  12. 3.

    Ich finde Fußball wird über- oder falschbewertet.
    Volle Züge, in denen randaliert wird, Menschenmassen, die von der Polizei in Schach gehalten werden müssen, Gewaltbereitschaft, Schlägereien, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, Beleidungen, Pyrotechnik - klingt alles nach einer rechten Demo, aber wird als Sport oder " Beifang" von Sportveranstaltungen deklariert.
    Verfeindete Vereine? Wo da der Unterschied zwischen Motoradclubs oder arabischstämmigen Clans sein soll, bleibt offen. Das alles hat weder heute noch damals irgendeine Berechtigung Fußball schönzureden, wenn es keine Fairness gibt.

  13. 2.

    Interessant! Dass sollte mal die Ultras von Hansa Rostock, Hertha und BFC sich anschauen! Auch hier gibt es ,,Unterstützer''.

  14. 1.

    Danke rbb, Danke Dr. Schneider und Danke Mark!!!
    Sehr wichtige Studie und Interview!
    Es kann nur bedeuten, JETZT aufstehen und Haltung zeigen!

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