Umbenennungen in Berlin - Wenn ein Straßenname nicht mehr in die Zeit passt

Zahlreiche Straßen wurden in Berlin in den vergangenen Jahren umbenannt. Häufig liegt das am antidemokratischen Hintergrund des Namensgebers. Künftig sollen mehr Frauennamen auf die Karte. Von A. Bordel, G. Gringmuth-Dallmer und J. Wintermantel
Gleich zwei Berliner Bezirke sind daran interessiert, eine Straße beziehungsweise einen Platz nach der kürzlich verstorbenen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer zu benennen – als Würdigung und Erinnerung an das ihr Widerfahrene. Anregungen, Straßen umzubenennen, gibt es derzeit mehr als noch vor einigen Jahren.
Grund dafür ist laut Experten hauptsächlich ein verändertes Diskriminierungsbewusstsein in der Bevölkerung. In der Vergangenheit wurden Straßen vor allem in Zeiten politischer Umwälzung umbenannt - etwa in der Nachkriegs- oder Wendezeit.
Wie viele der etwa 10.000 Straßen in Berlin nach Personen benannt sind, variiert von Bezirk zu Bezirk. Während es in Pankow etwa nur neun Prozent sind, sind es in Friedrichshain-Kreuzberg knapp die Hälfte aller Straßen.
Mehr Frauennamen im Stadtbild
In allen Bezirken ähnlich ist hingegen, dass die Namensgeber sehr viel häufiger Männer als Frauen sind. Nur knapp fünf Prozent der Berliner Straßen sind nach einer Frau benannt, dagegen knapp 29 Prozent nach einem Mann. Die Ehrungen galten in der Vergangenheit häufig der politischen, militärischen oder kulturellen Elite, die stets von Männern dominiert gewesen ist. In den frühen Nullerjahren beschlossen die meisten Berliner Bezirke auf Empfehlung des Senats hin vorzugsweise Frauennamen im Fall einer Um- oder Neubenennung einzusetzen, solange, bis eine gleichmäßige Verteilung erreicht ist.
In den Bezirken ist dieses Vorhaben unterschiedlich stark verankert. Friedrichshain-Kreuzberg hat 2005 beispielweise beschlossen, "ausschließlich" Frauen als Namensgeberinnen zu ehren, bis eine Parität hergestellt ist. Seitdem wurden in dem Bezirk zahlreiche Straßennamen nach Frauen umbenannt, in Charlottenburg hingegen in den letzten zehn Jahren keine.
Zwischen Gedenken und Kontroversen
Warum Straßen umbenannt werden, kann verschiedene Gründe haben. Im Fall Friedländer spielt vor allem der Wunsch eine Rolle, die Verstorbene zu ehren. In manchen anderen Fällen geht es in der Hauptsache darum, unliebsame Namen von den Straßenschildern zu tilgen. Häufig gilt dies bei Männern, die etwa in antisemitischen, rassistischen oder kolonialistischen Zusammenhängen in Erscheinung getreten sind.
In den Berliner Bezirken wurden in den vergangenen zehn Jahren mindestens 25 Straßen umbenannt. Inzwischen gibt es ein viel stärkeres Bewusstsein dafür, Menschen mit einem gewissen Hintergrund nicht mehr mit Straßennamen ehren zu wollen als noch vor einigen Jahren. "Ganz andere Lebensgeschichten spielen mittlerweile eine Rolle", sagt Nathan Friedenberg, Sachgebietsleiter für Erinnerungskultur im Bezirk Mitte. "Auch Menschen, die nicht direkt selbst betroffen sind, machen sich Gedanken über Diskriminierungen von anderen Menschen. Das hat sich auf jeden Fall verändert." Friedenberg zufolge ist es wichtig, jeden zweifelhaften Namen genau zu prüfen.
"Erinnerungskulturell finde ich es wichtig, dass nicht einfach alles unbenannt wird und die Historie aus dem Straßenraum gelöscht wird", sagt Friedenberg weiter. Dennoch reiche ein Erläuterungsschild, das den Kontext der namensgebenden Person erklärt, in manchen Fällen nicht aus und die Straße müsse umbenannt werden.
Bezirke entscheiden über Umbenennung
In Berlin entscheiden über die Umbenennungen die einzelnen Bezirke. Den Wunsch eine Straße umzubenennen, kann jeder anregen. Rechtliche Grundlage für die Umbenennung ist Paragraph 5 des Berliner Straßengesetzes sowie die dazugehörigen Ausführungsvorschriften. Demnach sind Umbenennungen nur in bestimmten Fällen zulässig - etwa zur Beseitigung von Doppelbenennungen oder wenn ein Straßenname nach heutigem Demokratieverständnis als negativ belastet gilt. Die Vorschriften beziehen sich dabei explizit auf nationalsozialistische, koloniale oder stalinistische Hintergründe der Namensgeber, die dafür relevant sein können.
Das jeweilige Bezirksamt muss die Anwohnenden rechtzeitig über die Umbenennung informieren. Eine formelle Beteiligung der Anwohnerschaft ist nicht vorgeschrieben – sie haben also kein Vetorecht, können sich aber etwa über Petitionen oder Bürgerdialoge an dem Umbenennungsprozess beteiligen.
Bürokratie-Chaos und Debatten über Namensgeber
In der Praxis können von der ersten Initiative bis zur tatsächlichen Auswechslung des Straßenschildes mehrere Jahrzehnte vergehen. So geschehen zum Beispiel im Fall der Treitschke-Straße in Steglitz-Zehlendorf. Da äußerte eine Kirchengemeinde bereits im Jahr 2000 den Wunsch den Straßennamen ändern zu wollen, da Heinrich von Treitschke vielen Historikern als Mitbegründer des modernen Antisemitismus gilt. Beschlossen wurde die Umbenennung in Betty-Katz-Straße erst Anfang dieses Jahres, also 25 Jahre später. Grund dafür ist, dass man sich lange nicht einig darüber werden konnte, ob Treitschke als Namensgeber weiter tragbar ist oder nicht. Straßenschilder mit dem neuen Namen stehen derzeit noch nicht.
Nicht nur Streitigkeiten über den Namensgeber können eine Umbenennung verzögern, sondern auch bürokratisches Chaos - zuletzt gab es das etwa bei der Umbenennung eines Abschnitts der Manteuffelstraße in die Audre-Lorde-Straße in Kreuzberg. Einige Anwohnende wurden offenbar nicht rechtzeitig über die Umbenennung informiert. Zeitweise hatten manche drei Adressen gleichzeitig, weil mit der Umbenennung auch die Hausnummern in der Straße neu angeordnet wurden. Der Bezirk bekennt sich zu dem Durcheinander und teilt rbb|24 mit: "Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Umbenennung der Manteuffelstraße in Audre-Lorde-Straße wird derzeit der Prozess zur Umbenennung von Straßen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg überarbeitet".
Viele Umbenennungen stehen noch aus
Im Fall Margot Friedländer bremste der Senat die Benennungsenthusiasten der Bezirke in Charlottenburg und Kreuzberg erstmal aus. Zunächst sei Zeit für Trauer und Gedenken, hieß es. Laut Straßenverordnung können Personen erst fünf Jahre nach ihrem Tod Namensgeber für Straßen werden. Der Senat kann diesbezüglich Ausnahmen anordnen. Ob er das im Fall Friedländer tut, bleibt abzuwarten. Vorerst müssen die Bezirke sich gedulden.
In Zukunft können wohl noch zahlreiche Berliner:innen mit einer Umbenennung ihrer Straße rechnen. Derzeit sind laut Bezirksangaben mindestens acht Umbenennungen beschlossen, aber noch nicht umgesetzt. Weitere acht sind, wie im Fall Friedländer, beantragt. Der Berliner Antisemitismusbeauftragte erstellte schon vor einigen Jahren eine Liste mit Straßennamen umstrittener Personen allein im antisemitischen Kontext. In vielen dieser Fälle steht eine Debatte über eine mögliche Umbenennung in den Bezirken noch aus.
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